Der Einsatz von drahtloser Datenkommunikation im Umfeld von Metall-Strukturen eine enorme Herausforderung. Welche Umgebung könnte also schwieriger sein als eine Schiffsbauwerft, inklusive der Schiffe, die sich dort im Bau befinden? Von Experten geplant und realisiert, erweist sich 5G hier trotz aller Hindernisse als überaus robust – Xantaro konnte einen entsprechenden Proof of Concept schneller als geplant abschließen.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat im April 2022 ein Maßnahmenpaket zur Entwicklung von 5G-Campusnetzen gestartet. Zentrales Projekt ist „CampusOS“, das einen Komponentenbaukasten und Blaupausen für Aufbau und Betrieb von offenen Campusnetzen zum Ziel hat. Dazu gruppieren sich weitere sechs Projekte mit unterschiedlichen Anwendungsszenarien. Eines davon ist MAVERIC – das Kürzel steht für „Middleware für automatisierte Verwendung von Edge-Ressourcen in Campusnetzwerken“. Die Ausarbeitung obliegt den vier Projektpartnern Xantaro Deutschland, dem Schiffbauer Naval Vessels Lürssen (NVL Group, Bremen) mit Werftstandorten an Nord- und Ostsee sowie den Hochschulen Augsburg sowie Emden/Leer-
Der Schwerpunkt von MAVERIC liegt sowohl im Einbinden lokaler Ressourcen als auch dem intelligenten Management von Verbindung zum Internet/WAN. Die Idee dahinter: Ein 5G-Campusnetz auf großflächigen Werftgeländen an mehreren Standorten aufzubauen, das auch in unterschiedlich konstruierten Schiffskörpern in allen Ausbauphasen eine Verbindung zwischen Arbeiten im Schiffsrumpf und der Leistelle ermöglicht. Der Arbeitstitel: „The connected worker“.
Wenn die Daten nicht laufen
„Stahl ist grundsätzlich ein ungünstiges Material, für die Durchdringung mit Funkwellen. Darüber hinaus haben wir im Schiffsbau das Problem, dass wir es generell mit Unikaten zu tun haben, und jedes Unikat verhält sich anders“, erläutert Sebastian Graf, Leiter Technology & Innovation von Xantaro, warum es bislang keine 5G-Lösungen „von der Stange“ gibt. Da im stählernen Schiffsbauch die WLAN-Ausleuchtung bisher nicht wirtschaftlich einzurichten war und auch eine Verkabelung nicht in Frage kam, verliefen die Bauarbeiten bislang in Teilen höchst ineffizient.
Statt der Daten mussten die Mitarbeiter laufen. Wenn etwa Planänderungen vorzunehmen oder Aktualisierungen abzurufen waren, mussten diese erst aus den Tiefen des Schiffsrumpfes nach oben steigen, bis eine Datenverbindung zustande kam, um anschließend wieder hinabzusteigen. Laut Xantaro-Projektleiter Peter Hofbauer konnte jeder Gang bis zu 30 Minuten dauern – eine enorme Verschwendung von Arbeitszeit, mit entsprechend hohen Kosten.
Abhilfe schaffen soll ein Mobilfunknetz auf Basis von 5G-Technologien, das eine zuverlässige Vernetzung vom Werftgelände bis hinab zur Bilge, dem tiefsten Raum im Schiffsbau, gewährleistet. Dadurch wird aus dem Schiffsbauer unter Deck ein „Connected Worker“, der stets drahtlos erreichbar ist. Nach mehreren Tests und intensiven Berechnungen erweist sich das 5G-Netz selbst im Einsatz auf Schiffen mit sieben und acht Decks, Längen von weit über 100 Metern und gebaut aus mehreren tausend Tonnen Stahl als überaus robust.
Natürlich muss der Physik Tribut gezollt werden. Im Schiffsrumpf unten am Kiel ist die Datenübertragungsgeschwindigkeit niedriger als auf dem Oberdeck, die Lücke kann aber durch Veränderungen am Set-up der Antennen deutlich reduziert werden. Doch die bereits erzielten Ergebnisse sind für die vorgesehenen Anwendungen bereits völlig ausreichend. Viel wichtiger ist die Verfügbarkeit an jedem Ort und die Zuverlässigkeit der Verbindung.
Wie Sebastian Graf berichtet, gehe es nach den erfolgreichen Tests nun darum, die für den Schiffsbauer wirtschaftlich attraktivste Konfiguration des Equipments zu finden. Graf: „Für uns wird es jetzt im Rahmen des Forschungsprojekts erst mal dahingehend weitergehen, das Radio-Netz weiter zu optimieren. Wir haben im gesamten Schiff eine gute Abdeckung erzielt. Was für uns und vor allem für unsere Kunden jetzt wichtig ist: Mit wie wenig Equipment können wir am Ende eine optimale Radio-Abdeckung hinbekommen?“
Dies gilt zum einen für die Netzverfügbarkeit im Schiffsrumpf – mit der Herausforderung, dass jeweils passende Set-up für Standort und Schiffstyp zu finden. Zum anderen aber auch für die Versorgung des Werksgeländes, wo Kräne, Hallen und Warenlager ebenfalls jede Menge Metall enthalten. „Mit 5G hat unser Team selbst auf diesem schwierigen Gelände alle Hindernisse ausgeschaltet“, so sein Fazit der Tests. Angesichts dessen konnte der Proof of Concept mit vollem Erfolg abgeschlossen werden.
Blaupause für weitere Use Cases
Als weitere Anwendung sind Pop-up-Netze, also befristete Installationen, aber auch „mobile“ 5G-Campusnetze auf Schiffen möglich, also der Einsatz auch auf hoher See, mit Anbindung ans Internet beispielsweise per Satellit. So können etwa externe Experten mittels AR/VR-Anwendungen bei Reparaturen in abgelegenen Regionen assistieren, ebenso wie während des Auf- oder Umbaus in der Werft.
Das MAVERIC-Projekt dient jedoch nicht nur der Entwicklung robuster Netzwerk-Konzepte, sondern hat auch die darauf aufbauenden Anwendungen im Blick. Dazu gehört beispielsweise die Anbindung von Edge-Computing und -Storage, um Datenanalyse und KI-Anwendungen „On Premise“ durchzuführen statt in der Cloud oder in einem entfernten Colocation Data Center. Umgekehrt werden auch Möglichkeiten erkundet, wie Zwischenspeicher für Unterlagen (z.B. Online-Handbücher für Reparaturen) per Vorabruf realisiert werden können. Benötigt werden auch Puffer, um Engpässe oder gar Ausfälle von Rücktransport-Anbindungen lokal zu kompensieren, wenn die Qualität der Anbindung ans Internet nicht sichergestellt werden kann.
Die Ergebnisse von MAVERIC reichen weit über die Anwendungen bei Werften und Schiffen hinaus. Sebastian Graf: „Während der Konzeption unseres mobilen 5G-Campus-Netzes haben wir sehr großen Wert auf Modularität und Flexibilität gelegt. Denn wir sind sicher, dass jede Kundensituation individuell sein wird und wir immer auf das Problem und auf die Szenarien des Kunden konkret eingehen müssen. Das gelingt uns mit unserem mobilen 5G-Campus-Ansatz vor Ort. Beim und zusammen mit dem Kunden können wir so erarbeiten, welches Szenario wie gelöst werden kann.“
Zu den Einsatzmöglichkeiten, die 5G-Lösungen in Zukunft ermöglichen, gehören unter anderem der AR- und VR-Einsatz für Wartung und Service, die Steuerung von Drohnen zur Inspektion von Anlagen oder Lagerplätzen inklusive der Übertragung von hochauflösenden Videostreams sowie die zuverlässige Steuerung von mobilen Robotern oder autonomen Fahrzeugen, wie sie etwa in der Industrie oder in großen Logistik-Zentren zum Einsatz kommen.
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